17
Dez
2010

50 Jahre und ein Ende

2



In den nächsten Monaten versuche ich Sonja zu vergessen, obwohl sie mir die Tauglichkeitsprüfung versüßt hat. Das gelingt natürlich nicht. Nun, es gibt ja viele Anlässe vieles zutun. Einen ernsthaften Anlass freiwillig nach Itzehoe zu fahren, wenn man in der Max Brauer Allee zu Hamburg eine Ausbildung macht, gibt es nicht. Meine Mitschülerinnen, fast alles Frauen, kommen teilweise auch aus dieser Ecke. Und Orte wie Tornesch, Uetersen oder Elmshorn werden zu meinem Alltag.

Norddeutsche Betten sind ohne Bauernmalerei, aber doch hart. Zeit für lange Aufenthalte gibt es nicht, so wird Sonja wieder ein Thema. Aber eines mit Hürden. Immer wenn ich sie besuchen will, hat sie ihre Tage und sie sagt mir, ich soll doch meine Phantasie spielen lassen. Ich flüstere ihr oft nette Sachen ins Ohr, dessen reale Umsetzung sie aber strikt ablehnt. Das andere Hindernis ist ihr Bundie. Den hat sie nicht abgeschossen, außerdem hat er seinen Dienst längst vollendet und denkt über ein Sozialpädagogikstudium und längere Haare hinten nach.

Club 68 ist bei mir um die Ecke. Ich bin jetzt Erzieher und Heimschläfer. Mein Vater unterstützt mich moralisch. Er war Kriegsgefangener auf einem französischen Bauernhof und wegen Fahrraddiebstahl als Krimineller in Marseille. Mein Vater ist gegen die Bundeswehr, aber auch gegen männliche Kinderbetreuung. Club 68 stellt einen behinderten Jungen als Bearbeitungsbeispiel in Aussicht.

„Sie sind Erzieher – wundervoll!“ Von wegen. Alle Neulinge werden erst einmal zu Herrn Franke geschickt, einen notorisch nörgelnden Rollstuhlfahrer, bei dem es kein Zivi länger als zwei Wochen aushält. Ich lass mich krankschreiben, über Ostern. Mein Bettelanruf bei der Dienststelle, ich könne das nicht mit dem Franke, verhallt in Allgemeinfloskeln.

„Leute, ihr macht Zivildienst. Ihr müsst das machen!“ Dann Kiel-Mettenhof, Grundlehrgang. Achtzig junge Männer zusammen auf engstem Raum in einem Viertel mit dem Charme eines „Minimümmelmannsberg“. Die Schwulen und Nichtschwulen sind schnell ausgemacht. Ein paar harte Knochen spüre ich in Gliedern und Löchern, einige schießen mit dem Luftgewehr durch die Gegend und werden strafversetzt. Ein bissl Bundeswehr für wenige Wochen. Ich bitte alle Frauen, dass sie mir doch schreiben mögen. Sonjas Post kommt prompt. Sie ist jetzt mit einem Totalverweigerer zusammen.

Nach Mettenhof wird es besser. Ich bekomme Didi. Der geht auf die Sonderschule im Nymphenweg zu Harburg. Geistig behindert und zwölf und geboren am 19. Mai, was er pro Tag mindestens hundert Mal wiederholt. Ein freundliches Kind.
Die Klassenlehrerin ist 1,87m, sehr nett, und zu alt für mich. Sie ist extrem kurzsichtig und rennt ständig gegen irgendwelche Sperrbalken auf dem Schulgelände. Sie beult dadurch aus, scheint aber kein Blut im Leib zu haben.

In Kiel haben wir geübt, wie es ist, wenn man nichts sehen kann und blind durch die Stadt muss. Ein Kollege mit Verdunklungsbrille und der andere als Betreuer. Die gleiche Nummer mit Rollstuhl. Die Busfahrer extrem genervt an den Haltestellen, weil die wissen, dass das jede Gruppe so durchzieht.

Ich liege oft allein in der Klasse, weil Didi nicht mit darf. Er ist Epileptiker. Didi liegt da und schläft. Nach so einem Anfall ist der Kleine erst einmal drei Stunden komplett im Eimer. Ich leg mich zu ihm auf die Spielpolster. Mal kommt eine nette Praktikantin rein und bringt mir einen Kaffee. Knutschen ist aber nicht, wie früher im Klassenzimmer, oder wie mit Sonja am Bahnhof. Ab und zu mach ich ein Foto mit meiner ersten Nikon. Die Direktorin fragt mich, ob ich Telefondienst machen möchte. Laut Dienststelle dürfen wir das ablehnen. Die Direktorin ist aber nett.

...

17. Dezember 2010

fortsetzung folgt


1. Teil

16
Dez
2010

50 Jahre und ein Ende

1


Jetzt sind sie abgeschafft, die Zivis. Das Wort „Zivi“ hatte so einen schlüssigen Klang, der immer nach Erbsensuppe und „Essen auf Rädern“ duftete. Junge im Saft stehende Männer mit Gitarrenunterrichtserfahrungen und Milchgesichtern. Stets in der Wäschekammer der Altentagesstätte, Gras inhalieren und auf den Fluren des Sozialamtes Wildhonig verkaufen.

Mein Bruder hatte in den 70ern gedient. Oberleutnant, Landvermesser und Physiker. VW Käfer Fahrer mit Beton im Fundament, damit er zusammenhält, später Minigolf, dann Tennis in der Mittagspause, heute Audi Quattro als Geschäftsfahrzeug.

Frühstücksfernsehen beim Bruder zuhause. Dann nimmt er mich im Auto mit zum Kreiswehrersatzamt nach Itzehoe.
„Ab heute gilt Anschnallpflicht in Deutschland!“, sagt er. Hinter jeder Brücke wird der Kleinwagen von einer Böe erfasst und treibt rechts ab, was mir suspekt vorkommt. Dabei sind alle Dienenden in meiner Familie immer alte Sozis gewesen, immerhin.

In Itzehoe melde ich mich an. K wie Krüger oder Kamerad Arsch. Da treffe ich die alten Kollegen wieder aus dem Schulzentrum Egenbüttel. Keiner außer mir hat einen Antrag auf „Kriegsdienstverweigerung“ gestellt. Lauthals wird mir gesagt, ich solle mich am Tisch melden.

„Hahaha, jetzt kommen die Haare ab!“

Da sitzt sie, meine Feindin. Uniform, Krawatte, unreines Gesicht und reines hochdeutsch. Daneben ein Mädchen in meinem Alter mit Ringellöckchen, Engelsgesicht und Haaren bis zum Bauchnabel. Sie lächelt scheu, aber bewusst und sieht mich ganz lieb an.

„Unsere Praktikantin!“, grunzt die Feindin.
„Find ich gut, dass du verweigerst!“, Die Praktikantin lächelt. Auf ihrem Namensschild über ihrer Blümchenbluse lese ich ihren Vornamen „Sonja“. Wie schön, die Sonne, in dieser kargen und grauen Umgebung.
„Noch beantragt er erst!“, raunzt die Feindin.

Der Amtsarzt greift beherzt in den Schritt.
„Sie wollen also verweigern!“
„Jawoll!“
„Wohl Angst vor Hinterladern, wie?“
„Ich mach eine Erzieherausbildung und da ...!“
„Soso, Kindergärtner, wie niedlich!“

Treffe Frank in der Umkleide. Wir waren in der Siebten zusammen. Fette Tätowierung auf dem Arm und T2, aber geiler Body. Ich fahr mit der Hand über seine blanke Brust.

„Du bist ein schöner Mensch!“
„Verpiss dich du Hippie.“
„Ich hab dich auch gern!“
„Und bei dir?“
„Auch T2, wie alle.“

Thomas kann mich im Auto mitnehmen bis Pinneberg. Ich will aber auf mich alleine gestellt sein, als einziger potenzieller „Friedensaktivist.“ Sonja hat nämlich grade Schluss.

„Mein Freund hat sich für den Bund entschieden. Das find ich so scheiße.“
„Mach doch Schluss mit ihm wegen mir.“
„Mal sehen!“

Telefonnummern austauschen und am Bahnhof ein bisschen knutschen.

...

16. Dezember 2010

fortsetzung folgt

15
Dez
2010

Nach

Guten Morgen, gute Nacht. Ich schau dir nach. Ich geh durch die Stadt. Ich finde keinen Tritt im watteweißen Schnee. Die Strümpfe werden warm, die Sparstrümpfe heiß. Du fehlst mir so. Ich schau dir nach. Dir nach.

Ich kaue Kirschen, ich kaue Kerne und etwas Gebäck. Ich habe Vitaminspritzen im Ruck. Ich habe Lieder im Leinensack. Die Stadt leuchtet mich ab. Ich leuchte dir nach. Dir nach.

Ich trällere Lieder im Notwehrkanal. Ich töte Blauhelmsoldaten im Computerspiel. Ich spende Suppen vor dem Baumarkt. Ich fackle Schrebergartenordnungsschreiben ab und die Druckmaschinen gleich mit. Ich bin aus dem Tritt ohne dich und schau dir nach. Dir nach.

Ich vögle Kadettinnen nach dem Opelinnenball. Eine Hand fürs Schiff, eine für das Glied und eine für das Maß. Ich küsse mich durch Schneefrauen und bewundere Supermarktfrauen, welche Milch geben können. Ich wasche mich kalt und gründlich und kraule mein Bauchhaar. Du bist mir wahr. Ich schau Dir nach.


15. Dezember 2010

8
Dez
2010

Der Engel mit der Arschgeige

Jeden Sonntag fahre ich mit dem Zug zu meiner Großtante nach Uelzen. Meine Tante ist sehr krank und schwach und ich bringe ihr immer Aufbaupräparate mit, welche ich per bewaffneten Überfall aus einer Nachtapotheke geraubt habe. Auf dem Hunderwasserbahnhof mache ich immer Rast und schau mir die wunderbaren Bilder an, welche mir zu dem Bahnhofsgebäude einfallen. Dabei spinne ich so schöne Geschichten, dass es mir sofort gut geht und mich positive Gedanken berauschen. Mein Herz wird mit Glück gefüllt. Mit diesen guten Gedanken besuche ich dann meine Tante. Sie setzt sich im Bett auf und ich stopfe ihr großes Maul mit Tabletten voll. Langsam verbessert sich ihr Zustand.

...

4
Dez
2010

Winterbraut - Video

Gestern private Lesung mit iphone mitgeschnitten (kleiner Ausschnitt)

Felicitas (Flöte, Akkordeon)

Matthias von Schramm (Sprache, Megaphon)

Live 2010 in Hamburg

Nordfriesischer Mondenschein
Winterbraut
Karneval in Hamburg



2
Dez
2010

Herzoginkartoffeln (Pommes duchesse)

Sie hockt vor mir mit goldgelben halterlosen Strümpfen und nackten Oberschenkeln, auf denen Blutergüsse reizvolle Muster bilden. Sie spricht mir gut zu, die Madame Pomme duchesse mit ihrer geschmeidigen gut gebräunten Stimme.

Wir waren die ganze Nacht am Barrand. Wir haben nur genippt und sind dann mit Rosennachbarn über kandierte Blumenblätter hergefallen. Wir sind dabei fast erfroren, weil wir unsere Gesichter nur beachtet und nicht berührt haben.

Jetzt sind wir Freunde.


2. Dezember 2010

28
Nov
2010

schwarz grün am Ende du

Eine gute Nachricht, endlich ist schwarz grün im Hamburg gescheitert.

Das gibt feine Neuwahlen und ich koch auch Labskaus dann, Du Sau.

"Die bundesweit erste schwarz-grüne Landesregierung in Hamburg steht nach nicht einmal drei Jahren vor dem Aus. Die GAL will das Regierungsbündnis beenden. "Wir streben Neuwahlen an", sagte Fraktionschef Jens Kerstan nach einer Klausurtagung von Fraktion und Parteivorstand am Sonntag in Hamburg. "Wir sehen nicht mehr, dass diese Koalition die Kraft hat, wichtige Zukunftsprojekte für Hamburg zu stemmen."

http://www.ndr.de/regional/hamburg/schwarzgruen137.html

Schinkenröllchen

Seine Frau macht jeden Samstag Schinkenröllchen mit Kochschinken und Spargel aus dem Glas. Er steht auf Mischhack mit Senf und Harzer Roller. Er hat es seiner Frau nie gesagt. Nach 51 Jahren ist es nun auch zu spät.

Er fährt gerne mal alleine mit der Bahn in die Stadt. Da besucht er seine ehemaligen Kollegen, mindestens einmal die Woche. Er war früher im Keller bei Brinkmann und hat die Sachen repariert. Brinkmann ist ja nun nicht mehr und die Kollegen sitzen bei Saturn. Inner Betriebskantine ist es nicht wie früher, aber man kann es sich ja einbilden.

Er isst eine Frikadelle. „Wie ich noch gearbeitet habe, hab ich zwei Frikadellen gegessen!“

Seine Tochter ist allein stehend. Seine Frau versteht so was ja nicht. Deshalb besucht er seine Dörte gerne ohne Mutti in Harvestehude. Sie ist sein Ein und Alles, die Füllung in der Marzipanschnecke. Ne ganz Zuckersüße.

...

25
Nov
2010

Kopfsteinpflaster

Mama, was macht der Mann da? Und da, die Frau, was macht die? Die werden zu einem Menschen. Die werfen sich zu Boden. Die wälzen sich. Die reißen sich nicht zusammen.


Ja, mein Sohn, sie lieben sich. Sie lieben sich wie Papa und Mama.


Mama, dabei trinken sie sich? Sie saugen sich aus? Sieh mal, er wirft sie aufs Kopfsteinpflaster und sie schreit.


Davon verstehst du nichts mein Kind. Das wirst du erst lernen, wenn du groß bist.


Aber warum verbindet er ihr die Augen und steckt Watte in ihre Ohren? Und warum blutet sie?


Komm, Junge lass uns weiter gehen.


...
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