Jonathan und Käthe

12
Nov
2006

Bondage

Fußgängerzonen sind meine Lieblingstagesgefängnisse. Man irrt von Schaufenster zu Schaufenster, von links nach rechts und wartet bis Fahrradfahrer und Skater ermahnt werden. Man irrt von Gitter zu Gitter und hält vor Juwelierläden inne, weil’s da nun rein gar nichts Neues zu sehen gibt. Man ist gefangen vom schlechten Geschmack, aber man hat viel Auslauf. Im Wohnzimmer für Punks, in Bierdosenarialen. Dort denke ich meistens über das vermeintlich verletzliche Thema: verpasste Lebenschancen nach. Dort freue ich mich aufs Schlechtgehen und auf eine eigens aufgebauschte Melancholie.

... hier gehts weiter

luebeck bei nacht am samstag

7
Nov
2006

Schwarz und weiß

Seitdem die Uniformen an Polizistinnen einen besseren Schnitt haben, lasse ich mich auch mal gerne in Fußgängerzonen festnehmen. Wegen unerlaubtem Fahrradfahren und dabei auf dem Lenker stehend öffentlich urinieren. Das aber nur wenn eine Polizistin in der Nähe ist - mit Schiedsrichterinnenpfeife. Sie pfeift mich zu sich, verlangt meine Personalien und ich soll mal mitkommen. In einer Nische vor einem Bankautomaten hält sie an.
„Sie schämen sich wohl gar nicht!“, schimpft sie mich – blonder Zopf, streng gebunden bis zum Damenschnitt der Uniformhose.
„Doch und wie!“, sage ich, „aber ich wusste nicht wie ich es sonst anstellen sollte Sie kennen zulernen!“ Leicht schmunzelnd schüttelt sie mit dem Kopf und schreibt eine Anzeige oder eine Verwarnung oder irgendetwas Schönes auf einen rosa Notizzettel.
„Es ist grad kein Kollege da, der sie abtasten könnte, aber ich nehme mal zu ihrem Glück an, dass sie nicht bewaffnet sind und keine Drogen bei sich haben!“ Ich senke mein Haupt, da ich mit dem Vorwurf des groben Unfugs und des öffentlichen Ärgernisses konfrontiert bin.


es geht weiter

28
Okt
2006

Erröten

Selbst beim Erröten kommen die triumphalen Züge deines Vielsprachengesichtes durch. Monogam und vielseitig betrachte ich sie und höre das Knistern des Raumes in Stereo. Deine Wimpern winken mir überlegen zu und ich schließe die Sportzeitschrift. Frauen und Männer in knapper Kleidung: das muss ja nicht sein. Komplimente sind nicht meine Stärke. Sie sind allenfalls ein Ast, den sich andere - grobe Gemüter lachen. Dennoch fühlte ich mich hingezogen, dir grade jetzt DAS zusagen. Kein Lächeln, nur dieses Erröten auf der Basis eines Tarnfarben – Taktes. Von weiß, wie der Tag unter bedecktem Himmel - zu rosig wie adernblutschön - zu violett wie verwundet und grün wie Spinat. Alle Farben pulsieren plötzlich. Es ist Disco bei uns zu Haus.

weiter gehts hier

13
Okt
2006

Zukunft ist möglich

Wenn ich am Schreibtisch sitze und einschlafe, dann kommen mir die schönsten Träume. Die Wolken sind weicher als je zuvor. Die Engelsstimmen schöner als gedacht. Ich sitze mit Käthe im Autokino und es läuft ein amerikanischer Liebesfilm. Kitsch verklebt die Windschutzscheibe, Popcorn und Cola unsere Kehlen. In diesen Träumen ist alles möglich. Wir dürfen hässlich sein und trotzdem im Zentrum unserer Welt die maßgebliche Rolle spielen. Wir sind nicht flott, nicht sexy aber nach wie vor geil. Wir stören niemanden und es gibt auch keine Neider.

Früher trugen die jungen Frauen lange Zöpfe um flott zu sein. Hintern raus und mit Zigarette im Mundwinkel am Bahndamm stehen. Es ziemte sich wie bestellt und nicht abgeholt auszusehen und die Nüstern nach mit Motorradbenzin benetzten Knaben zu öffnen. Später waren es ellenlange Kurvenscheitel, welche die blonden Schädel überzogen. Das wirkte geschäftig und jederzeit ausgehfähig. Eine Zeit lang waren auch Modebrillen in. Heute haben die Damen von Welt kleine rötliche Strähnchen in ihren Kurzhaarfrisuren um flott zu wirken. Sie lächeln nett an Supermarktkassen die Kassiererinnen an, die eine ähnliche Frisur anzubieten haben.

weiter gehts hier

29
Sep
2006

Schlechte Fotos

Schlechte Fotos von dir verstauben in den Schuhschachtiletten. Ich krame sie unter dem Bett hervor und huste in die Matratze. Mir ist ganz kariert vor Schwindel. Das Muster meines Kampfpyjamas setzt sich in meinem Kopf fest. Auf den unscharfen, am Rand vergilbten Aufnahmen machst du dir meistens gerade die Haare und erlöst dich zwischenzeitlich in Verlegenheitsgesten, welche besagen sollen: „Ich bin ein Mädchen!“

Die vergessenen Fotos, die weggestellten, nicht einalbumisierten machen ein wenig mehr darauf aufmerksam, wie dein Leben wirklich war. Eine Einbahnstraße eitler Missverständnisse. Ein Rissfilm in Schwarzweiß und Trix-Pan. Es ist eben eine Kunst in deinen Nischen mehr zu finden. Das habe ich mir zur Aufgabe gemacht. Die Schönheit dieser schlechten Bilder geht mir zu Herzen. Du auf deines Vaters Schoß im feschen Sonntagskleid. Er mit Schweinshaxen verschmiertem Fettmund, wohlig schauend, dein zuckersüßes Kleinfamilienlächeln und den Aquavit schon im Blick. Deine Mutter daneben im Pelzmantel zu politisch unverdächtigen Zeiten. Sie winkt vor dem nagelneuen und blitzblanken Lloyd Alexander. Eine Familie inmitten des gestellten Glücks. Eine Idylle zwischen Worpswede und Hamburg.

weiter hier

altes Familienbild um 1969 - die Type in weiß bin ich:

familienbild um 69

16
Sep
2006

Engel für Jonathan

Nackensteifes Erwachen. Gegenlicht durchs offene Fenster. Bier und Dosenweißblechgeruch unterm Zimmerhimmel. Zwei Engelsgesichter voll mit Lächeln dringen mit strahlenden Augen in mich. Ab und zu mustern sie sich gegenseitig und sprechen ein paar leise Worte. Die runden Wangen sind weiß und glatt. Ihre Nasenflügel arbeiten attraktiv. Dann verlassen sie wieder das Zimmer. Ich stehe auf und gehe zum Computer. Eine Email von Käthe, ich soll ein paar Besorgungen machen. Allgemeine Genesungswünsche erwähnt sie als Fußnote. Die Engel kochen derweil Kaffee. Weißen Kaffee, weiße Brötchen und Weißwurst mit weißem Senf. Ich streife mein Nachthemd ab und betrachte im quer verzerrenden Spiegel meinen fiebernassen Körper. Mit einem weißen Faustwaschlappen und Zitronenseife wasche ich mich.

Maria ruft: „Jonathan, Frühstück ist fertig!“
„Ja ich komme gleich!“

hier weiter

17
Aug
2006

Jonathan und das Mädchen unten am Fluss

Es geht mir so, wie man mich hier sieht. Entschlossen keinen Entschluss zu treffen. Ich reiche dem Mädchen die Hand. Die Hand ist klein aber stark, sie ist knochig aber warm. Lakonisch will ich „tschüß“ sagen. Sie hält mich fest und Käthe wartet oder wartet auch nicht auf mich. Ich sage nichts. Ein scheuer Kuss auf die Wange.

„Ich will dir noch die Stelle unten am Fluss zeigen, an dem mein Liebesleben begann!“, sagt sie. Ich stutze, zeige dieses Stutzen aber nicht. Sie küsst mich auf den Mund. Sie küsst mich lange. Als sie absetzt, atmet sie tief durch.

„Jonathan, du bist ein Junge, der einsamen Mädchen zuhören muss, wenn sie Geschichten erzählen!“, sagt sie.
„Das ist dein Schicksal!“, fügt sie noch hinzu. Sie läuft. Ich folge ihr. Ihre kleine Hand in meiner und sie zieht mich hinaus und fort. Ich schließe die Augen und lasse mich führen. Die Stadt die schreit hinter mir. Die Küsse des Mädchens fühle ich nach wie Hamburger Schmuddelwetter. Beides wirkt auf Seele und Herz.

Unten am Fluss ist es ruhig. Die Nachtschatten des Sommers vergehen. Ich kehre nicht zurück. Wir ziehen uns langsam aus. Ich scheue Wasser seit der Kindheit. Also schwimmen wir nicht.

14. August 2006

18
Jul
2006

Jonathan und das Singledasein

Wäre mir nicht zufällig im Zuge seltenen freien Ausatmens die Käthe passiert, so hätte mir durchaus über Jahre hinaus das Schicksal einer Singleexistenz widerfahren können. Ich hätte Raufaser umarmt und mich auf die verschiedenen Stadtteiltreffs zwischen Dulsberg und St. Pauli eingelassen. Was tut ein Single? Er sitzt in seiner Wohnung und trinkt und träumt eigenmächtig von seiner Leibspeise. Er kauft Pornoutensilien und hat zwölf verschiedene Fernbedienungen auf seinem Wohnzimmerglastisch liegen. Einmal im Monat kommt die Mutter vorbei und poliert die Glasplatte.

weiter

schwitzend

14
Jul
2006

Traurig

Rührend, wenn ich traurig bin. Wenn Lutschertränen in den Rinnen unter den Augen versacken. Beim Blick in den Spiegel schüttle ich den Kopf über diese Jammerrötung auf den Schwulstwangen. Alltagsheulerei ohne Grund. Da sind nur Schläge im Unterbauch, faustgroß und ich weiß nicht einmal wo sie herkommen. Ich sollte halt vermeiden in alten Fotoschachteln zu kramen. Manche Brustknospen sind Vorhöfe zu schlechten Erinnerungen. Bloß die Tränen wegwischen, wenn Käthe erwacht. Dann gibt’s nur wieder diese irrsinnige Trauertherapie. Lesen, Tee trinken, Durchatmen, Spazieren gehen und kein Sex ...

hier weiter

traurig

11
Jul
2006

Finalstammtisch

Mittagsstammtisch in Käthes Wohnung. Es ist der Tag nach dem Endspiel. Käthe, Waltraud, Ilse, Hannelore und Sabine. Jägermeister und Kaffee. Zizous Kopfstoßlegende wird als männlich empfunden. Schlechtes Heldenbenehmen weckt alte Sehnsüchte. Weiße Katzen dürfen in Ehren ergrauen. Ich brühe frischen Kaffee auf mit Fußballschürze und nacktem Po. Die Backen weisen das Endspielergebnis aus. Dumm, wenn man das Finale falsch tippt.

weiter hier lesen
logo

MVS mit Text und Bild

Bilder zu Gedanken - Gedanken zu Bildern

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Impressum

Meine Bücher bestellen

Ich fing den Raben Nimmermehr text-fuer-text - das Buch ist da Das erste Käthe / Jonathanbuch ist da

Aktuelle Beiträge

Gymnasium Dörpsweg
Liebe Gabi! Ganz oft habe ich in den letzten Jahren...
Christiane Sopha (Gast) - 3. Feb, 10:51
Gunst der Stunde Tourbericht...
Nun denn! bitte hier
mvs64 - 8. Mai, 18:43
Neuer Blog http://mvs-textundbild.blo gspot.com/
Hier gibts keine weiteren Artikel Weiter gehts hier...
mvs64 - 8. Mai, 18:42
gerne
aber deine emailadresse habe ich nicht gefunden. beste...
mvs64 - 8. Mai, 17:03
von Blogger zu Blogger
Würdest Du mir ein Interview geben? Ich schreibe unter...
ChristopherAG - 5. Mai, 01:43

Zufallsbild

Bahrenfeld - zur Galerie

Befindlichkeiten
Bildschrammen
Bücher
Dulsberg
Events
Fotosafari
Geburten
HRK
Hurtzelgnom
Insel
Jonathan und Käthe
Kameras
Lecker
Lindenstrasse
Presse
Restaurantkritik
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren